Eine Familienstiftung bewahrt den Unternehmensspirit

Das Unternehmensoll im Erbfall nicht zersplittert, ein Zugriff Dritter ausgeschlossen, und Nachkommen sollen wirtschaftlich abgesichert werden: Motive wie diese haben Ulrich Seier dazu bewogen, die Seier Unternehmensgruppe im Jahr 2019 in eine Familienstiftung zu überführen. Im Interview berichten er und seine Tochter Tessa-Thalea Seier über den Schritt.

Tessa-Thalea Seier und Ulrich Seier

Was waren Ihre Beweggründe, die Unternehmensnachfolge über eine Familienstiftung zu lösen?

Ulrich Seier: Ich blicke auf eine 103-jährige Unternehmensgeschichte. Anders als für viele Wettbewerber kommt für mich der Verkauf des Unternehmens an eine Heuschrecke, eine Private-Equity-Gesellschaft, der es um Gewinnmaximierung und nicht um das Wohl des Unternehmens und der Mitarbeitenden geht, niemals in infrage. Mir ist wichtig, dass es, unabhängig davon, was in der Familie passiert, mit dem Unternehmensverbund weitergeht. Konkret: Für den Fall meiner plötzlichen Geschäftsunfähigkeit oder meines Todes muss das Unternehmen so gut organisiert und aufgebaut sein, dass es ohne mich als Gesellschafter und Geschäftsführer funktioniert. Ein weiterer Beweggrund für das Stiftungsmodell ist meine Familie. Ich sehe unsere Unternehmensgruppe als temporäres Geschenk an mich, welches es gut zu betreuen gilt. Das gilt es über die Stiftung nicht nur an die nächste, sondern auch an folgende Familiengenerationen weiterzugeben. Was ich drittens definitiv nicht möchte ist, dass das Unternehmen zur Verwertung geerbt wird. Selbst wenn sich das Interesse kommender Generationen von aktuellen Geschäftsfeldern entfernen würde, biete ich mit der Familienstiftung den Schlüssel an, um dem Unternehmen Stabilität und künftigen Generationen meiner Familie eine solide finanzielle Basis zu geben. Die Unternehmensgruppe mit all ihren Mitarbeitenden und deren Familien ist somit bestmöglich geschützt: So ist zum Bespiel verbrieft, dass die Stiftung mit finanziellen Ressourcen für das Unternehmen da ist, wenn es ihm nicht gut geht. Unabhängig davon, ob ein Familienangehöriger die Geschäfte führt oder nicht – die Stiftungsmitglieder müssen sich mit der Unternehmenssituation auseinandersetzen. Es ist mein Ziel, dass der Unternehmensspirit über die Stiftung an nachfolgende Generationen gegeben wird.

Wie können Sie nach der Einbringung des Unternehmens in die Stiftung noch agieren?

Ulrich Seier: Für mich hat sich durch die Familienstiftung quasi nichts geändert. Ich bin weiterhin aktiv in der Holding der Unternehmensgruppe als Geschäftsführer aktiv. Allerdings jetzt mit dem guten Wissen, dass ich jederzeit aus dem operativen Geschehen des operativen Geschäfts aussteigen und mich ganz auf die Arbeit als Vorstand der Stiftung konzentrieren kann. Zugleich haben wir Mechanismen definiert für den Fall, dass ich als Geschäftsführer aufgrund eines Notfalls für längere Zeit ausfalle oder aus dem operativen Geschäft ausscheiden muss.

Wie sieht eine Staffelübergabe an die nächste Generationaus?

Ulrich Seier: Momentan haben wir für die Familienstiftung keinen Stiftungsrat eingesetzt. Damit habe ich der kommenden Generation, konkret meiner Tochter Tessa-Thalea, die Chance, aber nicht die Pflicht, eingeräumt, das Zepter alleine in die Hand zu nehmen. Die Unternehmensnachfolge ist ja nicht nur eine Herausforderung für den Übergebenden, sondern auch für die Übernehmende. Mit der Familienstiftung habe ich Nachfolgefragen elegant beantwortet. Der Anteilstransfer ist geregelt. So ist jederzeit ein fließender Übergang auf meine Tochter möglich. Schließlich geht es nur noch um die Besetzung von Funktionen. Damit steht meine Tochter nicht unter Druck, sich sofort entscheiden zu müssen. Sie kann eigene Erfahrungen machen und sich ausprobieren.

War es nicht ein emotionsgeladener Prozess, das Eigentum an die Stiftung zu übertragen?

Ulrich Seier: Das war zunächst eine emotionale Hürde. Es hat mir im Verlauf meiner Meinungsbildung allerdings gutgetan, mit Stiftungsgründern zu sprechen. Vertraulich von Angesicht zu Angesicht. Es ging in diesen Gesprächen um den Verstand und um das Bauchgefühl. Irgendwann war ich überzeugt, als Stiftungsgründer nach wie vor alles machen und lassen zu können. So wie wir das umgesetzt haben, bin ich völlig frei in allen Entscheidungen.

Wie haben Sie sich gefühlt, als die Nachfolgeregelung unter Dach und Fach war?

Ulrich Seier: Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl. Ich habe das Familienvermögen ja quasi manifestiert. Wir haben „Töpfe“ für die kommenden Generationen, für Notsituationen in den operativen Firmen, für zu erwartende Steuerabgaben und auch für karikative Zwecke gebildet. Heute lebe ich deshalb nicht schlechter, aber viel befreiter. Und emotional reicher, denn ich bin stolz darauf, für alle gesorgt zu haben, ohne jemanden zu benachteiligen. Da schließe ich unsere Mitarbeitenden und ihre Familien unbedingt mit ein. Auch durch die Familienstiftung kann ich meinem Grundsatz treu bleiben: der Mensch im Mittelpunkt des Unternehmens! Darüber hinaus ist die Familienstiftung einfach eine wirklich gute Nachfolgelösung, eigentlich ein Add-on. Für meine persönliche Entwicklung war der ganze Prozess dorthin eine tolle Erfahrung.

Stellt das Konstrukt der Familienstiftung auch steuerlich eine interessante Alternative dar?

Ulrich Seier: Familienstiftungen sind nicht gemeinnützig – und deshalb auch nicht steuerbefreit. Es fallen also an verschiedenen Stellen der Stiftung Steuern an. Eine Familienstiftung kann aber im Vergleich zu anderen Lösungen und je nach Familienkonstellation dennoch durchaus vorteilhaft sein. Bei der Stiftungsgründung fällt zunächst einmal Erbschaft- und Schenkungsteuer an. In dieser Hinsicht haben wir uns für die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung entschieden und konnten dadurch ohne jegliche Erbschaftsteuerbelastung in die Stiftung gehen. Jetzt haben wir 30 Jahre Ruhe, bis die sogenannte Erbersatzsteuer fällig wird. Bis dahin baut die Stiftung ein entsprechendes Polster auf, um diese Steuer zu bezahlen. Damit haben wir auch ein Steuerkonzept entwickelt, das über Generationen hinweg gut tragbar ist.

Haben Sie die Nachfolgeregelung mit sich alleine ausgemacht oder waren Familienmitglieder eingebunden?

Ulrich Seier: Meine Tochter war zu dieser Zeit 20 Jahre und in die Beratungen eingebunden. Sie wird irgendwann entscheiden, auf welche Art und Weise sie sich in der Stiftung wiederfinden will. Tessa-Thalea war von Anfang an involviert und Teil des fachlich anspruchsvollen Ganzen. Dabei hat sie sich proaktiv an der Gestaltung beteiligt und auch veranlasst, dass der eine oder andere Punkt geändert wurde. Ich war beeindruckt über die klugen Gedanken der Next-Generation. Als Papa war ich natürlich nicht nur dankbar, sondern auch stolz auf meine Tochter. Tatsächlich ging es um mehr als darum, das Unternehmen in die Familienstiftung einzubringen. Wir haben in einem ganzheitlichen Ansatz die komplette Nachfolge der Familie Seier organisiert. Wir haben eine Lösung für drei Generationen – meine Eltern, meine Schwester und mich sowie unsere Kinder – entwickelt. Dadurch haben wir gleichzeitig die gesamte erbschaftsteuerliche Situation optimiert. Auch meine Ehefrau hat mich ausnahmslos bestärkt. Das bringt Familie auf eine neue Ebene zusammen.

Frau Seier, wie wichtig war es für Sie, dass Ihr Vater Sie in den Prozess, insbesondere die Gestaltung der Stiftungssatzung, einbezogen hat?

Tessa-Thalea Seier: Für mich war dieser Prozess sehr bedeutsam. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich mit dem Thema Stiftung kaum befasst. Aber ich konnte wirklich alle Fragen stellen, um die Ulrich Seier Familienstiftung mit ihren Vor- und Nachteilen tatsächlich zu begreifen. Auch ich bin übrigens stolz, dass manches durch meinen Beitrag nochmals diskutiert und angepasst wurde.

Ich bin ein Mensch, der sich sehr viele Gedanken um die Zukunft macht. Der Prozess hat mir die Angst genommen, jetzt eine Entscheidung treffen zu müssen. Ich finde es gut, dass unabhängig davon, wie meine persönliche Zukunft aussieht, wir Seier-Nachkommen immer eine Rolle in der Stiftung spielen können. Ich fühle mich auf jeden Fall sicher.